Cannes 2018: Palmen fürs Kino der guten Absichten?

Die Cannes-Jury hat viele herausragende Filme ausgezeichnet, ihre Preise lassen sich aber leicht missverstehen als das Einmaleins eines politischen Forderungskatalogs. Ein Kommentar zur Prävention.

Immer wieder hieß es im Vorfeld des Festivals und im Laufe der Tage in Cannes, die mehrheitlich weiblich besetzte Jury werde ein Zeichen setzen für die Repräsentation von Frauen in der Filmbranche. Und tatsächlich wurden am Ende zwei Regisseurinnen ausgezeichnet: Nadine Labaki erhält mit ihrem ambivalenten Elendsdrama aus dem Libanon, Capernaum, den Preis der Jury, und damit Bronze. Alice Rohrwacher, mit Lazzaro Felice unsere Favoritin im gesamten Wettbewerb, wurde dagegen lediglich fürs Beste Drehbuch ausgezeichnet, ein Preis, den sie sich zudem mit Three Faces teilen musste, dessen Drehbuch Jafar Panahi gemeinsam mit Nader Saeivar verfasst hat.

Welch vertane Chance, Happy as Lazzaro nicht mehr zu ehren, angesichts eines in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Werks, das sehr bewusst mit den filmhistorischen Traditionen arbeitet und sich gleichzeitig subtil politisch positioniert. Rohrwacher hat einen traumwandlerischen, intensiven und zurückgenommenen Film gedreht, den viel mehr als sein Drehbuch ausmacht. Dass die Jury ihm unter anderem Nadine Labakis Capernaum vorgezogen hat, legt nahe, dass es ihr weniger um den ästhetischen Ausdruck als um die Repräsentation im Bild ging, also wen und was die Filme zeigen, und nicht wie.

Spike Lees Auszeichnung für BlacKkKlansman ist sehr sympathisch, gerade weil der Film sich selbst ständig sabotiert, Propaganda auffährt und sie untergräbt, die Gegenwart zitiert und die Entwicklung von Handlung und Figuren zum Teil vernachlässigt. In der Reihe der Preisträger steht der Film aber zwischen zwei Armutsdramen, die auf Kinder gucken, denen sie bessere Zukünfte wünschen. Natürlich sind alle drei Filme komplexer, ihr Zusammenhang aber birgt die Gefahr, sie primär von ihren Absichten her zu lesen: gegen Rassismus, für Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Es wäre aber sehr schade, BlacKkKlansman auf sein Thema zu reduzieren oder auf die Repräsentation schwarzer Kultur, die im Wettbewerb freilich stark unterrepräsentiert war.

Auch die Goldene Palme für Shoplifters von Hirokazu Koreeda rein vom Thema oder dem Dargestellten her zu denken, verbietet sich, egal was sich die Jury dabei gedacht haben mag. Koreeda hat einen der schönsten Filme des gesamten Wettbewerbs gedreht, der wie viele seiner Vorgänger eine beeindruckende Lichtgestaltung mit unheimlich unaufdringlichen und doch empathischen Einstellungen verbindet. Dennoch gibt es eine Reihe an Gründen, warum diese Goldene Palme, so sehr Koreeda ein verdienter Gewinner ist, die falsche Entscheidung ist. Zum einen ist Shoplifters letztlich nur eine Variation auf seine Vorgänger, und nicht unbedingt besser als diese, zum anderen gab es weitaus eigenwilligere und formal gewagtere Filme, deren Eingang in die Festivalannalen viel mehr bedeuten würden.

Auch wenn man unsere Begeisterung für Happy as Lazzaro nicht teilt, hätte es etwa mit Lee Chang-dong und Jia Zhang-ke zwei Regisseure gegeben, die sehr viel mehr aufs Spiel setzen und dabei entsprechend auch eindrücklichere, jedenfalls stark nachhallende Werke geschaffen haben. Beide sind leer ausgegangen. Genauso wie Christophe Honoré und Yann Gonzalez, die in der ein oder anderen Kategorie hätten bedacht werden können. Die Spezial-Palme für Jean-Luc Godard, der den außergewöhnlichsten Film im Wettbewerb beigesteuert hat, ist zwar folgerichtig, hat aber dennoch einen Beigeschmack: Was so besonders ist, muss in eine Sonderschublade gepackt werden.

Es muss möglich sein, politische Zeichen zu setzen, ohne sich komplett auf die Ebene guter Absichten zurückzuziehen. Der Jury um Cate Blanchett gelingt dieser Spagat immerhin teilweise. Zurück bleibt dennoch ein zwiespältiges Bild: Zwar wurden vornehmlich Filme bedacht, die ihre guten Absicht durchaus vor sich hertragen. Diese Filme haben formal aber dann doch so viel zu bieten, dass sie sich darunter nicht subsumieren lassen.

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