Amour Fou eines Managers
Unter Dir die Stadt: Christoph Hochhäuslers Gefühlsthriller aus dem Bankenmilieu in „Un Certain Regard“. Cannes-Tagebuch, 4. Tag.

Unter Dir die Stadt beginnt mit verschwommenen Bildern. Ein kurzer Blick aus dem Flugzeug, wer den Taunus kennt, erkennt ihn schnell. Ein Blick aus dem Aufzug, einer aus dem Fenster. Dann wird das Bild scheinbar klarer und zeigt, wie eine jüngere Frau auf einer Frankfurter Straße ein merkwürdiges Erlebnis hat: Sie sieht eine andere, etwa gleich alte Frau in dem gleichen Kleid, das sie selbst trägt. Aus einer Laune heraus verfolgt sie diese Frau, bis hin zu einer Bäckerei, in der sie neben ihr steht, offenkundig amüsiert über das, was sie da gerade tut.
Diese Auftaktszene stellt uns Svenja vor, die Frau, die im Folgenden im Zentrum steht. Wir lernen gleich ihre Spontaneität kennen, wie erkennen ein spielerisches Element. Man kann darin auch die recht typische Reaktion einer recht typischen Gattin eines Gutverdieners erkennen, die für viel Geld in einer Luxusboutique einen Pret-a-Porter-Fummel erworben hat, und diesen nun noch an „einer Anderen“ entdeckt. Überraschung und Neid mischen sich mit der Neugier, wer diese Andere wohl sein mag, und da sie als Berufsgattin nicht übermäßig viel zu tun hat, hat sie die Zeit, ihr ein wenig nachzuspionieren.
Aber natürlich verweist die Szene noch auf etwas anderes: Das Doppelgänger-Motiv, nicht erst aus der Romantik bekannt. Die Möglichkeit, sich selbst zu begegnen, ein Anderer zu sein, sich aufzuspalten, die vielen Möglichkeiten, die das Leben bietet, und gegen die man sich immer wieder aufs Neue entscheidet, indem man lebt und eine Wahl trifft - für einen Menschen, einen Beruf, ein Leben -, und die Aussicht darauf, dass auch Svenja bald vor der Möglichkeit zu mehreren verschiedenen Leben steht - auch dies liegt schon in dieser Szene.

Der neue Film von Christoph Hochhäusler (Milchwald, 2003; Falscher Bekenner, 2005), inszeniert im gewohnt kühlen, distanzierten, mit vielen (manchmal vielleicht zu vielen?) Auslassungen arbeitenden Stil Hochhäuslers und der Berliner „Revolver“-Gruppe, ist zuallererst ein Film über Unehrlichkeit und Lüge. Alle belügen alle. Von Anfang an. Im Grunde ist sie, Svenja (ein Name der wie sie eigentlich nicht in diese Gesellschaft passt in seiner Banalität und Unbürgerlichkeit und darum vielleicht stimmt) ein Fremdkörper in diesem Milieu. Denn sie, die zwar auch lügt, sehnt sich doch zumindest nach einem Stück Wahrheit im falschen Leben.
Unter Dir die Stadt spielt in Frankfurt im Bankenmilieu, und so wie Svenja, die von Nicolette Krebitz mit kühler Direktheit und manchmal spröder Intensität gespielte Frau eines jungen ehrgeizigen Aufsteigers in der Finanzwelt, die Hauptperson ist, könnte es auch Roland sein, der um die 60 ist, und im Vorstand des Geldinstituts sitzt, in dem Svenjas Mann arbeitet. Er verliebt sich in Svenja, und so ist dies eigentlich die Geschichte der Amour Fou eines Managers.

Als Versuch, die heutige Finanzwelt zu fassen, ist Unter Dir die Stadt genauso grundsätzlich sinnlos, wie Oliver Stones Wall Street-Fortsetzung. Dies nicht, weil Hochhäusler etwas falsch gemacht hätte, sondern weil sich die heutige Finanzwelt nicht mehr mit privaten, persönlichen Geschichten erfassen lässt. Weil Hochhäusler die „gute alte Deutsche Bank“ zeigt, die es auch in Frankfurt nicht mehr gibt, nicht die Blitzkrieger einer von Maschinen beherrschten und getriebenen Global-Wirtschaft. Man muss da Strukturen zeigen, auch inszenieren, Kälte zum Ausdruck bringen. Man muss auch die Amoral zeigen, die Gier, die Luxusgüter zwischen Bulgari und Vanity Fair und Bentley und die Lear-Jets der Vorstände. Dies hingegen ist eine noch in Frustrationen zu heiße Welt, und die Geschichte erzählt von großen Emotionen und wenn es um die Wahl zwischen Geld oder Liebe geht, wählen diese Menschen die Liebe. Das Wesen der Wirtschaftswelt ist, dass die, die in ihr Erfolg haben, sich für das Geld entscheiden, damit aber auch glücklich sind. Martin Waschkes junger Aufsteiger ist so einer, und davon hätte man gern etwas mehr erfahren.

Stattdessen wirkt dann alles manchmal ein bisschen so, wie klein Moritz sich die Welt des großen Geldes vorstellt. Die Banker sehen alle eher halbseiden aus. Und auch der Blick aufs Bürgertum als verworfener, kalter, aber auch trauriger Klasse scheint mir etwas arg konzeptgesteuert, nicht wirklich erfahrungssatt.
Was mir hingegen gefällt, ist die sanfte Ironie, die über vielem liegt. Und vor allem die beiden Figuren im Zentrum: Robert Hunger-Bühler spielt einen Zeus auf dem Olymp, zugleich eine Art Peer Gynt der Managerwelt, einen Getriebenen, Suchenden, eine eminent romantische Figur. Vielleicht war Alfred Herrhausen ja wirklich so ähnlich. Ein Outsider und eine Ausnahme in diesem Milieu.
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