Krumme Hölzer

Interview mit Bruno Dumont zu Flandres

Bruno Dumont hat trotz seiner kurzen Filmographie – sein jüngstes Werk ist das vierte – bereits einen handfesten Ruf als Autorenfilmer. Er ist bekannt für seine provokanten, reduktionistischen und gleichsam gewaltgeladenen Filme. In Deutschland wird er noch weitestgehend ignoriert, sein letzter Film vor Flandres, Twentynine Palms, lief gar erst dieses Frühjahr mit dreijähriger Verspätung in ausgewählten deutschen Kinos. Mit Flandres kehrt er nach jenem Abstecher in die kalifornische Wüste und der Besetzung von professionellen Schauspielern zurück in den Norden Frankreichs und zur Arbeit mit Laiendarstellern. Wir trafen den studierten Philosophen in Paris zum Interview.

critic.de: Ihren Filmen nach zu urteilen sind Sie Anhänger der nihilistischen und existentialistischen Richtungen der Philosophie, oder?
Bruno Dumont: Der Philosoph, der mich am stärksten inspiriert hat, ist Heraklit. Denn er spricht vom gleichzeitigen Nebeneinander von Gegensätzen. Von einer Tatsache und ihrem Gegenteil. Wenn man über das Dasein nachdenkt, wird man immer wieder auf Gegensätze zurückgeworfen. Der Mensch besteht aus Gutem und Bösem – und das ist nicht zu trennen! In meiner Arbeit versuche ich, den Zuschauer zu dieser Sicht anzuregen. Genauso wie Immanuel Kant bin ich der Meinung, dass der Mensch ein Stück krummes Holz ist.

Denken Sie, man muss dem Menschen seine schlimmsten Seiten zeigen, um das Gute in ihm zu wecken?
Nicht zeigen, sondern inszenieren. Wenn Sie den Krieg in den Nachrichten verfolgen, fehlt Ihnen die Mise en Scene. Das Böse muss inszeniert werden, wie bei Shakespeare auf der Bühne oder im Film. Nehmen Sie Freddy in meinem Film La Vie de Jésus [dt. Das Leben Jesu]: Das ist ein Schwein. Aber durch seine Darstellung erhält der Zuschauer die Möglichkeit, gegen Freddy zu kämpfen, gegen das Böse zu denken. Der Zuschauer muss sich zu dieser Figur verhalten und kann so an ihr wachsen. Das nennt man Katharsis.

Sie sind also im Grunde gar kein Misanthrop, sondern Humanist?
Auf jeden Fall. Es ist doch einfach zu sagen: „Ich liebe meinen Nächsten.“ Aber es ist nicht wahr. Der Mensch ist sehr ambivalent. Die Moral ist ein Prinzip, aber der Mensch ist viel komplexer. Um diese Ambivalenz in den Griff zu bekommen, muss man sich damit auseinandersetzen. Wenn ich Ödipus von Sophokles lese, will ich danach ja nicht gleich mit meiner Mutter schlafen. Aber trotzdem ist es gut, das auszudrücken und darzustellen.

Widerspricht also Ihrer Meinung nach die Moral dem wahren Wesen der Menschen?
Ich glaube, dass die Moral dem Zuschauer gehört. Meine Filme enden dort, wo die Moral beginnt. Die Moral entsteht meiner Meinung nach durch die Meditation in der Natur. Meine Filme sind keine Morallehre, keine Predigt. Der Zuschauer gelangt am Ende zu einer Moral, aber meine Filme sind eigentlich barbarisch. Und diese Darstellung des Barbarischen ist notwendige Voraussetzung für den Zivilisationsprozess. Wir müssen die Barbarei regelmäßig darstellen, um den Menschen klarzumachen, wo und was die Zivilisation eigentlich ist und bedeutet. Das ist der Sinn und Zweck von Kunst.

Gibt es es eine Grenze des Darstellbaren, die nicht überschritten werden kann oder darf?
Die einzige Grenze ist die Modernität. Man muss eine Form der Darstellung finden, die zeitgenössisch ist, um den Zuschauer dafür empfänglich zu machen. Das gilt für das Schreckliche ebenso wie für die Schönheit.

Sie erwähnten vorhin Kants Metapher vom Menschen als ein Stück krummes Holz. Schließt das, bezogen auf Flandres, auch ein, mit Laiendarstellern zu arbeiten, um ein höheres Maß an Authentizität zu erreichen?
Ja, ich besetze krumme Hölzer als Protagonisten. Ich nehme Menschen, die diese Verformung, die wir im Herzen tragen, darstellen können. Wenn mir jemand sagt, Flandres sei ein Film gegen den Krieg, sage ich nein, es ist ein Film für den Krieg, der aber beim Zuschauer das Gegenteil auslösen soll. Im Grunde ist für mich das Kino immer Dialektik. Ein Film soll beim Zuschauer einen Kampf verursachen, der ihn bereichert und dadurch menschlicher macht. Ein Film, so hoffe ich zumindest, soll nützlich sein.

Man soll die Figuren in Ihren Filmen hassen, um sich mit dem Bösen in sich selbst auseinanderzusetzen? Also das Gegenteil klassischer Filmrezeption aus Identifikation oder Empathie?
Eine gewisse Identifikation ist sicher notwendig, sonst würde es den Zuschauer kalt lassen. Es ist wie bei einer Impfung. Der Erreger, das Schlechte, wird in einer kleinen Dosis verabreicht, um beim Menschen, also dem Zuschauer, eine Immunreaktion auszulösen.

Welche Idee stand bei Flandres hinter der Parallelsetzung des Dorflebens mit dem Kriegsschauplatz?
Das ist nicht parallel, kein Nebeneinander. Es ist absolut das Gleiche. Krieg ist ein Ausdruck der Liebe. Im ersten Teil werden Bande geknüpft: Ein Mann liebt eine Frau und sie liebt wieder einen Anderen. Aufgrund dieser Rivalität kommt es zum Krieg. Das gleiche kann man auf anderer Ebene von Israel und Palästina sagen. Das Verlangen ist der Beginn der Gewalt und der Krieg ist nur ein Ausdrucksmittel.

Am Ende gibt es aber eine Art von Hoffnung. Die Hauptfigur, Demester, der junge Mann, gesteht seine Schuld ein und zeigt zum ersten Mal so etwas wie Emotionen oder Zuneigung.
Genau. Flandres handelt von einem Mann, der eineinhalb Stunden braucht, um zu sagen: „Ich liebe dich.“ Der Film ist im Grunde das Entstehen dieses Satzes.

Sie haben ein exzellentes Auge für die Hässlichkeit von Orten. Vorhin sprachen Sie von den inneren Deformationen der Menschen. Sind die Filmräume ebenfalls ein Abbild davon?
Die Orte sind immer eine Darstellung des Innenlebens der Person. Von Anfang bis Ende sieht man in Flandres das Innere von Demester in Form von Landschaften und Orten. So wird ausgedrückt, was er ist und was er empfindet.

Kommentare zu „Krumme Hölzer“


Suberbia

Bruno Dumonts Meinung nach muss man das "Böse" und besonders bei ihm die "Leere" zeigen um im Menschen eine gewisse Katharsis zu erzeugen.
Sind also die primitivisten Horrorfilme alles Werke von Philosophen Herr Dumont? Er hat angeblich einige Zeit wahrscheinlich als Kind reicher Eltern Philosophie studiert, genützt hat es ihm anscheinend rein gar nichts - seine Filme sind nur ein Abbild seiner inneren Leere und Gewalt
sowie Sexphantasien. Das was der Mensch aber sieht nimmt er in seine Seele auf -ich zumindest werde mir nie wieder einen Film von
Dumont anschauen und kann das auch nur allen anderen empfehlen.


Jean

Da ist sie wieder- die Kontroverse der Gewaltdarstellung im Film.
Ob Haneke, Tarrantino oder Dumont, Cronenberg,etc. -diese Regisseure representieren eine Gruppe von Menschen, deren Logik mir vollkommen fremd ist.
Wie kann die ungefilterte Darstellung des Abscheulichen -auch wenn es in jedem von uns schlummern mag (was aucg nicht bewiesen ist) zu einer ethischen Haltung führen ? Also ich muss jedenfalls kotzen, wenn ich Übles sehe. Es kommt natürlich auch auf die Art der Darstellungan. Man muss doch nicht jede Einzelheit darstellen,
wir laufen ja auch nicht mit entblösstem Hinterteil durch die Strassen...






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