Untitled – Kritik
Auf der ersten Etappe seines weltumspannenden Dokumentarfilmprojekts ist Michael Glawogger gestorben. Monica Willi hat das gedrehte Material zu einem Film gemacht. In Untitled findet sich die Zuschauerin stets mittendrin, bei der Arbeit, bei den anderen, schlicht und einfach in der Welt.

Der breiten Zuschauerschaft wurde Michael Glawogger vor allem als Regisseur einer dokumentarischen Trilogie bekannt, die Megacities (1998), Workingman’s Death (2005) und Whore’s Glory (2011) umfasste. Der globalisierten Welt, die diese Filme erzählen, begegnete der Österreicher weniger als Mensch mit bestimmten Background denn als Reisender, der er allemal war. Fielen seine Spielfilme verhältnismäßig sesshaft aus, blieb das dokumentarische Schaffen ausgesprochen nomadisch. Daheim war Michael Glawogger in einem wie im anderen, gut schreiben konnte er auch. 2015 erschien posthum 69 Hotelzimmer, eine aus kleinen praktischen Formen („jedes Kapitel hat die Länge einer Zigarette“) bestehende Geschichtensammlung, die entlang der einsehbaren Reiserouten die Grenzen zwischen Traum und Faktizität gekonnt zum Verschwinden bringt.
Film, der nie zur Ruhe kommt

Die Mission, mit der sich Glawogger für Untitled auf den Weg machte, war groß und thematisch zudem sehr diffus angelegt. Es sollte, hört man ihn am Anfang des Films sagen, das ultimative Projekt zum Thema Bewegung und Reisen werden. Ein Jahr lang wollte er mit einem Kamera- (Attila Boa) und einem Tonmann (Manuel Siebert) unterwegs sein. Sein tragischer Tod kam unerwartet dazwischen. Aus dem bis dahin gedrehten Material stellte nun Cutterin Monika Willi, Glawoggers langjährige Mitarbeiterin, das Projekt als Co-Regisseurin fertig. Dass Untitled schließlich ein Film geworden ist, in dem nichts stillsteht, ist ein geglücktes Freilegen der anfänglichen Idée fixe, da ein Film über Bewegung und Reisen ja einer sein muss, „der nie zur Ruhe kommt“. Die Unruhe beschreibt hier zweierlei: Einerseits bezieht sie sich auf die Form, auf der anderen auf das Gefühl, das diese ausfüllt.

Was die Bilder in sich haben und was Willi mal sanft, mal unsanft in Matchcuts und schroffen Schnitten arrangiert, ist zunächst viel Unheil und blanke Gefahr. In Untitled sieht man, wie Kinder und Ziegen auf einer Mülldeponie mitten im Nirgendwo auf der Suche nach Brauchbarem herumwuseln. Wie ein Mädchen ohne Winterkleidung eine Elektrosäge den verschneiten Berghang hinunterträgt. Und wieder Kinder, die auf etwas, was ein Transportmittel und ein transportierbares Gut zugleich ist, die schmalen unbeleuchteten Straßen Sierra Leones entlangflitzen, wo sie doch jeden Augenblick im regen Verkehr ums Leben kommen könnten.
Come and receive

Seine dokumentarische Artistik führt Glawogger in dem, was er zu filmen wagt, ohne jedes Schutznetz aus. Die Kamera bleibt zurückgenommen, verschmilzt mit der Umgebung, bekommt dann durch die von Willi im Schnitt gewählte Verbindung von Bild und Ton – wir hören experimentelle Klangkompositionen von Wolfgang Mitterer – eine atmosphärische Fassung gesetzt. Die Auszüge aus Glawoggers Tagebüchern, eingesprochen von Birgit Minichmayr, umkreisen mal allegorisch, mal prononcierter die Methode hinter dem filmischen Schaffen: „Der Tod der Freiheit ist, jede Möglichkeit eines Unheils vorauszusehen und das Leben danach zu gestalten, und nicht in Betracht zu ziehen, was an Schönem entstehen kann, wenn man solche Einschränkungen einfach ignoriert.“ Und in der Tat steht Untitled trotz aller Evidenzen (Not, Armut, Schwerstarbeit) keinesfalls im Zeichen der Traurigkeit und des Mangels. Im Gegenteil treten hier Orte, Dinge und körperliche Performanzen zutage, die Dokumente eines wahren Staunens sind. Schaufeln, Schlagen, Tragen, Treiben, Tanzen, Kämpfen – die Mühelosigkeit, mit der Glawogger filmte, müsste doch aber auch nur eine scheinbare gewesen sein. „Come and receive!“, ruft hier einer, aber gerade wo er die Menschen nach nichts fragte, gar nicht mehr von ihnen wollte, als sich sattzusehen, stellt sich um so mehr die Frage, warum niemand von diesem Schauenden eine Notiz zu nehmen scheint.
Wo Anschlüsse abhandenkommen
In 69 Hotelzimmer ist Glawoggers Erzähler (ein „er“) ja auch stets einer, den keiner sieht. Einer, der durch die Nichtbeachtung der anderen die eigene Präsenz umso deutlicher spürt. Die phantasmagorischen Sprachkurven in dem Buch zeichnen ein mediales Abdriften nach, das den Regisseur während seiner Reisen so fasziniert haben muss. Handys verlieren hier dauernd ihren Empfang, Strom fällt aus. Oder auch andersherum: „Irgendwo lief ein Fernseher vor sich hin und sandte Bilder, die keiner sah.“ In Untitled operiert die Kamera gerne im Nicht-Funktionierenden und Abseitigen, führt die Zuschauerin gerne dahin, wo ihr die Anschlüsse abhandenkommen. Sie filmt eine in Dunkelheit versunkene Stadt, ein beinahe opakes Bild, dann die simultan angehenden Lichter und den kollektiven Jubelschrei, den sie auslösen. Hier findet man sich stets mittendrin, bei der Arbeit, bei den anderen, schlicht und einfach in der Welt. Und so braucht Glawoggers Werk, und Untitled als dessen verfrühter Schlusspunkt, keinerlei Kadenzen als Abschluss. Stattdessen schwingt das zuvor in den Gang Gesetzte leise nach, ein Detail wächst zum Ganzen, mal gibt es einen Entschluss, mal einen kleinen Vorsatz, häufiger jedoch ein Understatement: „Er hatte einen Hotdog in der Hand.“
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