Thor 3: Tag der Entscheidung – Kritik

Die Marvel-Maschinerie surrt in Thor – Tag der Entscheidung wohlvertraut vor sich hin und lässt sich von den Vorlieben der Regie – einem sprücheklopfenden Steinwesen etwa oder Jeff Goldblum – nicht groß stören. Aber was wären wir ohne die Verlässlichkeit der Maschinen?

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Es gibt in Thor – Tag der Entscheidung (Thor 3: Ragnarök) ein klar umgrenztes Gebiet, auf dem sich der Regisseur Taika Waititi frei austoben durfte. Dieses Gebiet ist auf gefahrlose Weise vom Rest des Films losgelöst – vom Gang der Haupthandlung ebenso wie von der Kaskade an Effektsequenzen – und beschränkt sich im Wesentlichen auf eine Nebenfigur: auf das Steinwesen Korg, das in regelmäßigen Abständen aus dem Bildhintergrund hervortritt, um eine lapidare oder sarkastische Bemerkung in das vorherrschende Superheldengewühl einzuwerfen. Anhand dieses (im Original von ihm selbst mit breitem neuseeländischem Akzent eingesprochenen) computeranimierten Wesens schließt Waititi ganz unmittelbar an seine früheren Filme an, allesamt Komödien mit starkem Neuseeland-Bezug und von einer (im Guten wie im Schlechten) hippen Skurrilität geprägt. Korg dient somit in Thor – Tag der Entscheidung nicht nur der komischen Auflockerung oder der ironischen Brechung, sondern auch und vielleicht vor allem zur Absicherung des Regisseurs gegen die Gefahr der vollständigen Selbstverleugnung.

Thor - Tag der Entscheidung 2

Denn es ist ein äußerst unwägbares Unterfangen, den größtenteils standardisierten Bausteinen eines Marvel-Films so etwas wie eine persönliche oder eigentümliche Note hinzuzufügen – weswegen es eine zumindest umsichtige Strategie ist, derartige Ambitionen auf einen geschützten Nebenschauplatz zu verlagern. Das Individuelle kann in diesen Filmen in der Regel nur als Ornament existieren, als prinzipiell verzichtbares Beiwerk, das nicht Gefahr läuft, störend auf das fein austarierte Getriebe aus Kampfszenen, buddy comedy und Verweisen auf das erweiterte Superhelden-Universum einzuwirken.

Unterschiedslose Kloppereien

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Eine solche Arbeitsteilung muss dabei nicht unbedingt etwas Schlechtes sein, vor allem wenn die grundlegende Maschinerie auf halbwegs verlässliche Weise Schau- und Unterhaltungswerte erzeugt. Das tut sie im Fall der Marvel-Filme durchaus, und zwar in erster Linie aufgrund der (vor allem auch visuellen) Vielfalt der Figuren, die dieses Universum bevölkern. Auch Thor – Tag der Entscheidung verwendet ein beträchtliches Maß an Zeit darauf, seine unterschiedlichen Helden und die mit ihnen verbundenen Bilderwelten vorzuführen und miteinander zu verweben. So treffen die germanischen Sagenmotive des titelgebenden Donnergottes auf die räumlichen Sprünge und Verschränkungen des Dr. Strange oder reiben sich an der bunten 80er-Jahre-Neonwelt des kindlich verspielten und kindlich grausamen Grandmasters (Jeff Goldblum).

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Dennoch leidet Waititis Film auch unter dem Widerspruch, der die meisten Marvel-Filme prägt: Zum einen sind sie ganz wesentlich um groß angelegte Actionsequenzen herum gebaut – in diesem Fall muss Thor reihum gegen einen lodernden Höllenfürst, gegen den einstigen Verbündeten Hulk und schließlich gegen die Göttin des Todes Hela (Cate Blanchett) antreten. Zum anderen sinken aber gerade diese Sequenzen immer wieder in eine unterschiedslose Klopperei ab, in der die eigentlich so energiestiftende Vielfalt der Figuren wenn nicht ganz eingeebnet, so doch beträchtlich abgewetzt wird.

Die Erzeugung eines abstrakten Energiepegels

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Die Gleichförmigkeit der großen Effektsequenzen liegt zum größten Teil im Wesen der Superhelden-Filme begründet. Denn wenn die handelnden Figuren keine körperlich verwundbaren Individuen, sondern übermenschliche Wesen sind, dann haben auch ihre physischen Auseinandersetzungen keine klaren Bedingungen für Sieg oder Niederlage und folglich auch keine zwingende innere Dramaturgie – dann können diese Figuren nur aufeinander eindreschen, bis ihnen oder dem Film irgendwann die Puste ausgeht. So erzeugen die vielen Schlachten und Verfolgungsjagden somit auch in Waititis Film keine auf die Figuren bezogene Spannung, sondern einen abstrakten Energiepegel, der sich über die gesamte Laufzeit nie erheblich steigert oder mindert, sondern der ihn wie eine Art Generalbass durchzieht. Der ist bei aller Gleichförmigkeit nie langweilig – dazu sind die Bilder zu wuchtig und zu bunt –, er gewährleistet vielmehr einen grundlegenden Zustand der Anspannung und Aufgeregtheit, auf den sich der Film stets gefahrlos zurückziehen kann.

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Thor – Tag der Entscheidung reichert nun dieses den meisten Marvel-Filmen gemeine Fundament durchaus mit ein paar unterhaltsamen und teils gar charmanten Einfällen an: Neben dem neuseeländischen Steinwesen sind dies etwa die Anklänge an die Ton- und Farbenwelt der Videospielhallen aus den 1980er Jahren und vor allem der Auftritt Jeff Goldblums. Wie ein Vaudeville-Komiker verlässt Goldblum nie seine bereits aus anderen Filmen bekannte Persona – den zerdehnten Sprachduktus, die eigensinnigen Handbewegungen, den leicht verträumten Blick ins Nirgendwo – und lockert dadurch, als ein Fremdkörper, der einer ganz eigenen Logik folgt, den übermächtigen Marvel-Kosmos etwas auf.

Warum Filme wie Thor – Tag der Entscheidung überlebenswichtig sind

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Aber vielleicht ist es ohnehin verfehlt, die übermäßige Standardisierung der Marvel-Filme zu beklagen und in ihnen immer nur krampfhaft nach versprengten Spuren der Individualität zu suchen. Denn das Hauptanliegen dieser Filme hat ganz offenkundig nichts zu tun mit dem Reiz des Neuen oder mit der belebenden Verunsicherung, die von dem Unbekannten und Ungewohnten ausgeht. Im Gegenteil, ihr Kerngeschäft ist einzig und allein die Verlässlichkeit. Dem vierzehnjährigen Jungen, der in der Vorführung von Thor – Tag der Entscheidung ein paar Sitze weiter saß, hat der Film nicht nur aufrichtig gefallen, sondern er wusste auch im Voraus, dass ihm der Film gefallen würde (was seinen Äußerungen deutlich zu entnehmen war). Er wusste es, mit demselben Vertrauen, mit dem man, überspitzt gesagt, in einem funktionierenden Gemeinwesen weiß, dass man im Spital medizinisch gewissenhaft versorgt wird oder dass die im Supermarkt verkauften Lebensmittel frei von gefährlichen Giftstoffen sind.

Ein derartiges Vertrauen zu erwecken und es dann, einmal erweckt, niemals zu enttäuschen: das ist das Ziel, dem sich die Marvel-Filme verpflichtet haben und dem sie alles andere (auch den gelegentlichen Drang nach Eigenständigkeit und Individualität) unterordnen. So betrachtet sind Filme wie Thor – Tag der Entscheidung auch für das Kino an sich überlebensnotwendig – nicht weil sie es formal oder inhaltlich weiterentwickeln würden, sondern weil sie ihm einen prominenten Platz in dem kulturellen Gefüge unserer Gesellschaft sichern und es erst zur Institution werden lassen.

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Kommentare


Robert

Es gibt Filme an die man sich gern erinnert, weil sie gut waren und es gibt Filme an die man sich lieber nicht erinnert, da sie so grottenschlecht waren. Zu Letzterem gehört für mich "Thor - Tag der Entscheidung". Es ist fast nichts von der ursprünglichen Thor Geschichte erhalten. Selbst die einst treuen Weggefährten werden nur in kurzen Einspielsequenzen gezeigt und vernichtet. In einem Nebensatz erfährt man, dass Jane Thor verlassen hat. Punkt. Das war's.

"Thor - Tag der Entscheidung" ist ein misslungener Marvel-Einheitsbrei aus Klamauk, Computeranimationen und Sound à la Tron Legacy. Aber kein Bestandteil ist passend zu Thor. Mein Fazit: So nicht! Thema komplett verfehlt. Setzen, Sechs!






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