James Bond 007: Spectre – Kritik

„Erinnern Sie sich, Mr. Bond!“ 007 kämpft für unser Recht aufs Vergessen.

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Wieder herrscht Retromania im Mendes’schen Bond-Universum. 2013 schliff Skyfall die Abnutzungserscheinungen der Marke, indem man eine neue Vergangenheit – oder überhaupt erstmals so etwas wie eine biografische Tiefe – für 007 erfand. Am Ende passierte dann noch etwas, das im Nachfolger nicht mehr hätte totgeschwiegen oder ignoriert werden können – eine Hypothek, die keinen jungfräulichen Status Quo Ante mehr zuließ, sondern traumatische Vergangenheit und düstere Zukunft aufspannte. Spectre gerät nun zu einer leicht abstrusen zweieinhalbstündigen (Psycho-)Analyse der Serie und ihrem zwischen Demenz und Totalzugriff changierenden Gedächtnis.

Thema, Durchführung, Krawatte

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Das „Damals“ dominiert Spectre noch deutlicher als seinen Vorgänger. Die titelgebende Verbrecherorganisation hat schon in einem halben Dutzend Filmen herumgespukt. Der Nemesis (Christoph Waltz) und Bond go back a long way. Die Geliebte (Léa Seydoux) ist die Tochter eines alten Widersachers. Sie heißt allen Ernstes Madeleine Swann. Proust-Liebhaber werden in Ohnmacht fallen. Seine Mission erhält Bond übrigens per Tonband noch von einer Toten.

Der Satz „The dead are alive“, der zu Beginn auf der Leinwand steht, ist also quasi programmatisch. Der Tag der Toten tanzt durch Mexiko City, und Mendes lässt die Kamera fliegen. Im direkten Anschluss an Skyfalls Ende gibt es in Spectres Eröffnung ein famoses Gespür fürs Räumliche – als Einheit, in der Innen, Außen, Oben, Unten und ein vielgerichtetes Gewusel zusammen gehalten werden. Raum als vermessbares Gegenüber für die wirren Zeitlichkeiten, die den Restfilm leider strangulieren werden. In gleitender, von einer langen Plansequenz grundierten Schnittbewegung erhebt sich die Kamera vom Straßenfest über ein kurzes Hotelzimmerstelldichein bis zu einer toll durch Licht und Schatten, kopfüber und kopfunter rhythmisierten Prügelei in einem torkelnden Helikopter. Und zum Schluss sitzt auch wieder die Krawatte. Klassische Bond-Sequenzen haben diese leicht dämliche, aber elegante Sonatenhauptsatzform: Contenance, Chaos, zurückeroberte Contenance.

Andeutung reicht nicht mehr

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Womit wir bei den Wiederholungsstrukturen wären, die serielles Erzählen überhaupt und die Bond’schen Lego-Plots ganz besonders charakterisieren. Der Flirt mit Moneypenny, das Briefing bei M, die Gadgetvorführung bei Q. Immer wieder, immer ein bisschen anders. Über solche Handlungsvariationen entstehen Erkennungswert und Charakter episodenbasierten Serienerzählens. Das Seriengedächtnis ist motorisch, organisiert nach Stil eher als nach Inhalt. Für Sonic-Youth-Alben hat man mal den Vergleich bemüht: „Egal wo man eine Salami aufschneidet – sieht immer anders aus, schmeckt immer gleich“. Ungefähr so.

Mendes (bzw. das Drehbuch-Designteam) weiß das. So verweist Spectre erneut und oft hintergründig auf die Bond-Historie, greift einerseits mit den Totenmasken der Eröffnungssequenz den Klassiker Liebesgrüße aus Moskau (From Russia with Love, 1963) auf, bezieht sich andererseits mit dem „Die Toten Leben“-Slogan auf die alte Obsession Bonds mit der Unmöglichkeit des eigenen Endes: You only live twice. Aber Mendes weiß auch, dass liebevolles Hochhalten der Traditionen im harten Sequelgeschäft anno 2015 nicht mehr ausreicht. Das Serienerzählen hat im Wust der Superhelden-Multiversen und Agentenrevivals schon lange seine Unschuld verloren, weshalb alle Bond-Standardszenen in Spectre nur in von Ironie angeknabberter, relativierender Form auftauchen. Und – das größere Verbrechen – weshalb es nun eine meist ad hoc konstruierte zeitliche Kontinuität gibt.

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Wenn opportun, behauptet das Drehbuch alles Mögliche ins virtuelle Dunkel von Bonds vergangenem Leben hinein: Adoptivbrüder und filmüberspannende Komplotte etwa. All das sind narrative Hütchentricks, psychologisch billig und für den souveränen Charakter des Helden verheerend. Craigs verdüsterter und hadernder Bond ließ sich in allen Gesten und Blicken ja ohnehin marionettengleich von den Gespenstern der Vergangenheit (die vielen, vielen Toten) führen. Nun aber reichen Interpretation, Schauspiel und Andeutung nicht mehr – explizite Infos müssen her. Alle Figuren scheinen denn auch immer nur einen geheimen Satz zu variieren, wahlweise als Frage oder Befehl: „Erinnern Sie sich, Mr. Bond.“ Alle zwingen ihn, seinem zuvor verlässlich mit Filmende und Entspannungsfick einhergehenden Vergessen entgegenzutreten.

Bond schafft sich ab

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Diese Drehbuchmauscheleien sind gerade deshalb töricht, weil der Film erzählerisch eigentlich eine Lanze für das Vergessen brechen will. Der gute alte MI6 wird von einer Big-Data-Agentur geschluckt. Das Doppel-Null-Programm, von Judi Dench’s M noch herzhaft verteidigt, wird gecancelt. Eine Wachablösung der Sicherheitsdienste vollzieht sich, von Mensch zu Maschine. Totale Überwachung durch lückenlosen Datenabgriff statt prügelnder, sprunghafter Killeragent. Als ersten Amtsgang wendet sich der Anti-Terrorismus-Computer gegen seinen Ahnen: Auf einmal soll für immer gespeichert werden, welche Vorschriften Bond gebrochen, welche Zerstörungen er angerichtet, welche Morde er begangen hat. So delegitimiert er sich durch seine Handlungen selbst. Gegen diese Horrorvision des ewigen digitalen Erinnerns bäumt sich Spectre auf, schickt seinen anachronistischen Helden auf eine Mission gegen die Zukunft: Die Gespenster der Vergangenheit sind meine allein.

In jeder Faser also verhandelt der neue Bond Probleme des Gedächtnisses, des individuellen, technischen, sozialen. Aber eine gescheite Haltung dazu, eine Atmosphäre, eine Stimmung dafür findet er nicht. Stattdessen nur Widersprüche, die sich nicht wirklich produktiv zueinander verhalten. Früher ging das einfacher: Der Bond in Liebesgrüße hatte eine kleine Narbe überm Arsch, Blofeld rächte sich für Dr. No, ansonsten aber war alles frisch und am Ende wieder alles vorbei. Ein bisschen Gedächtnis, viel Vergessen. Martini bitte, geschüttelt, you know the rest.

Vergessen, zu vergessen ist nicht gleich erinnern

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Jetzt durchkreuzt nicht zuletzt Bonds erinnerungsresistenter Körper immer wieder die großen Plotlinien: Wie auch glaubhaft von der Last der Erinnerung erzählen, wenn nach jedem Autounfall, jeder harten Prügelei, sogar jeder ausgedehnten Folter schon einen Schnitt später wieder ein unverletzter, voll einsatzfähiger und tadellos gekleideter Body dasteht? Da liegt die oben erwähnte Action-Struktur, die immer wieder zum stilsicheren Krawatterücken strebt, im Clinch mit den höheren Storyambitionen. Ganz besonders schön bescheuert sieht man das in einer Folterszene. Christoph Waltz – der übrigens langsam in die Nicolas Cage-Falle zu gehen droht, nur mehr seine Christoph-Waltzhaftigkeit ausstellend zum Schauspielgimmick gerinnt – peinigt den gefesselten Bond mit Präzisionsbohrungen ins Hirn. Erst ins Schmerzzentrum, dann irgendwo unterm linken Ohr, wo das Gedächtnis sein soll. „Du wirst dich an nichts mehr erinnern“, droht der Fiesling. Und bohrt. Bond schreit. Kurze Stille. Augen zu. Bond liegt reglos. Madeleine Swann hastet zu ihm: „Erkennst du mich noch?“ Augen auf: „Dieses Gesicht werde ich immer erkennen.“ Bond hat glatt vergessen, zu vergessen. Und der Film vergisst sofort, was er eben angekündigt hatte. Kurz darauf kämpft Bond schon wieder mit voller Kraft. Und man weiß nicht, ob man sich darüber nun freuen oder ärgern soll.

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Kommentare


Sebastian

Ich habe mich für die Filmemacher fremd geschämt. Die Handlung war nicht nur widersprüchlich und naiv, sondern auch einfach und flach, wie (gefühlt) nie. Schlecht inszenierte Szenen, überflüssige Szenen und Sequenzen, Continuity-Fehler, Logikfehler in der Handlung, teils gelangweiltes Spiel und durchschnittlicher Ton in Musik und Mischung. Ganz ganz ganz ganz schlimm einfach nur... Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass dies bei einem Bond-Film tatsächlich in diesem Ausmaß passieren könnte. Schon beim Drehbuch hätten die Filmemacher die Hände heben müssen...!!! Wenn es nach mir ginge: Einige Nachdrehs machen, Outtakes machen und den Ton neu mischen...passiert natürlich nicht. :-(


christian

Ich würde so gerne wissen woher dieses Salami-Zitat kommt.






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