Nachtzug nach Lissabon – Kritik
In Mega-Co-Production-World wirkt selbst die weiße Stadt am Tejo bieder.

Ein Langeweiler bricht aus seinem Leben aus: Lateinlehrer Gregorius (Jeremy Irons) bewahrt eine geheimnisvolle Frau auf einer Brücke in seiner Heimatstadt Bern vor dem Selbstmord, die wenig später verschwindet, aber ein ebenso geheimnisvolles Buch des portugiesischen Autors Amadeu de Prado (Jack Huston) zurücklässt – und eine Fahrkarte nach Lissabon. Zunächst geht Gregorius zum Bahnhof, um die Frau wiederzusehen, doch als der Zug anfährt, entschließt er sich kurzerhand, selbst einzusteigen, und schon bald ist er auf dem Weg in die portugiesische Hauptstadt, ein Buch in der Hand, dessen Autor ihn mit seinen Reflexionen um die verpassten Chancen des Lebens sofort in seinen Bann zieht. In Lissabon angekommen, macht sich Gregorius auf Spurensuche und erfährt nach und nach die Geheimnisse eines vollkommen unbekannten und doch so begabten und von einer tiefen Melancholie bedrückten Schriftstellers.

Pascal Merciers Roman Nachtzug nach Lissabon (2004) wurde zu einem weltweiten Bestseller, daher überrascht es nicht, dass hier eine internationale Co-Produktion mit Star-Besetzung und einem renommierten Regisseur wie Bille August (Goodbye Bafana, 2007, Les Misérables, 1998) gestemmt werden konnte. Ebenso wenig erstaunt es, dass ein solcher Film, dessen Protagonisten ein deutschsprachiger Schweizer und eine ganze Menge Portugiesen sind, komplett auf Englisch gedreht wurde. Schade ist es trotzdem, auch wenn es Filme gibt, sogar von Bille August – Das Geisterhaus (1993) oder Fräulein Smillas Gespür für Schnee (1997) –, in die man durchaus versinken konnte, ohne sich von der fehlenden Landessprache ablenken zu lassen. Aber es verlangt doch schon einen hohen Grad an suspension of disbelief, sich auf einen Burghard Klaußner einzulassen, der auf Englisch vor sich hingrummelt und dabei eigentlich Portugiese ist.

Vor allem aber dürfte es Kenner von Merciers Roman deshalb schmerzen, weil die Faszination des Lateinlehrers an der portugiesischen Sprache komplett verloren geht. Es waren im Buch schließlich nicht die Worte des Mädchens auf der Brücke oder gar das Mädchen selbst, die Gregorius verzaubert haben, sondern der Klang dieser Worte. Und ebenso war es das dem Lateinlehrer in seiner Struktur vertraute, aber in der Phonetik so fremde Portugiesisch, das ihn in Amadeus Buch hineingezogen hat und es ihn hat lesen und übersetzen lassen. Das Problem ist also weniger die fehlende Achtung vor einem Original als die Ignoranz gegenüber dem zentralen Motiv der Vorlage. Gregorius’ Flucht aus dem Alltag, die im Film eher lieblos behauptet wird, war Folge eines Verfremdungseffekts, der in Augusts Verfilmung durch die vollständige Abwesenheit des portugiesischen Sprachsounds abhanden gekommen ist.

Doch dafür hat man ja auch überhaupt keine Zeit. Wie das Buch will auch der Film beide Geschichten parallel erzählen, Gregorius’ Recherche in Lissabon und in Rückblenden auch das Leben des Amadeu de Prado, Sohn eines autoritären Richters, der trotz seiner streng katholischen Ausbildung zum Häretiker geworden ist, sein schriftstellerisches Talent verdrängt hat, um den Menschen als Arzt zu helfen, und durch seinen aus weniger privilegierten Verhältnissen stammenden Freund Jorge (August Diehl) den Widerstandskampf gegen Diktator Salazar aufgenommen hat. Und schließlich deckt der Schweizer Lehrer auch noch die tragische Liebesgeschichte zu Estefania (Mélanie Laurent, später Lena Olin) auf, an der die Freundschaft zwischen Amadeu und Jorge schließlich zu Bruch gegangen ist. Gregorius erfährt all dies in Gesprächen mit Menschen, die Amadeu gekannt haben, und der Film wechselt seine gesamte Dauer über ziemlich unmotiviert zwischen diesen Gesprächen und den Rückblenden in die Zeit Amadeus hin und her.

Es ist müßig, über das Verhältnis von Kino und Literatur anhand eines Films nachzudenken, der überhaupt keinen eigenen Zugang zum Material der Vorlage gefunden und wahrscheinlich nicht mal einen gesucht hat. Man hat das Gefühl, alles Verfilmbare wurde verfilmt und am Ende auf eine akzeptable Spielfilmlänge heruntergekürzt. Dabei interessieren sich die Drehbuchautoren Greg Latter und Ulrich Herrmann weder für die zentrale Frage des Romans nach der Möglichkeit, die Alternativen, die im eigenen Leben gesteckt haben, auszuprobieren, noch für den mal nervigen, mal sehr bewegenden Weltschmerz des geheimnisvollen Portugiesen. Sie behandeln Nachtzug nach Lissabon wie einen Krimi, der aus bloßer Handlung besteht und von einem Best-of der Weisheiten des Amadeu de Prado immer nur dann unterbrochen wird, wenn gerade mal wieder ein bisschen Tiefe gefragt ist.

Trotz dieser Reduktion des Romans auf die wichtigsten Plot-Points ist Nachtzug nach Lissabon nicht einmal kurzweilig geworden. Das liegt zum einen an der lieblosen TV-Ästhetik und unmotivierten Inszenierung, zum anderen am bis auf wenige Ausnahmen unmotivierten Spiel der Darsteller. Bruno Ganz und August Diehl sind die Einzigen, die für etwas intensivere Momente sorgen, der übrige Cast beschränkt sich darauf, mit bedeutungsschwerem Blick wichtige Sätze in die Kamera zu sagen. Und selbst das tolle Lissabon, dessen besondere Lichtverhältnisse und verwinkelte Straßen Filmemacher wie Alain Tanner (In der weißen Stadt, Dans la ville blanche, 1983) und Wim Wenders (Lisbon Story, 1994) angezogen haben, wirkt hier so steril und langweilig wie die viel zu hell ausgeleuchteten Innenräume, in die Bille August Merciers Reflexion über Flucht und Neuanfang gezwängt hat.
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Kommentare
Suseberlin
Eine so negative Bewertung halte ich nicht für angemessen, da habe ich weitaus schlechtere Filme gesehen. Und zum Thema Umsetzung des Buches möchte ich mich ebenfalls bedeckt halten. Man kann einen Film auch losgelöst von der vermeintlichen Vorlage bewerten.
Wenn ich mich aber schon auf eine Bewertung --- herablasse, sollte mir wenigstens aufgefallen sein, dass die alternde Estefania von Lena Olin und nicht von Martina Gedeck gespielt wird. Ansonsten liegt die Vermutung nahe, dass sich der Kritiker den Film überhaupt nicht angesehen hat.
Till Kadritzke
Danke für den Hinweis, da sind tatsächlich zwei Schauspielernamen durcheinander gekommen, die eigentlich nur schwer zu verwechseln sind, sorry dafür, den Film hab ich aber trotzdem aufmerksam gesehen ;)
Was die Kritik an der Kritik angeht: Sicherlich sollte die Rezension einer Literaturverfilmung nicht beim Abgleich mit dem Original stehenblieben, in diesem Fall schien mir dieser Ansatz aber durchaus geeignet, um einige der Schwächen des Films deutlich zu machen, weil im Roman ja durchaus viele Momente stecken, die man meiner Meinung nach ganz wunderbar ins filmische Medium hätte übertragen können, wenn man sich weniger der Handlung als dem "Geist" des Buchs (so blöd ich das Wort eigentlich finde) verschrieben hätte.
Wenn man es tatsächlich auf eine Beurteilung runterbrechen will, dann glaube ich auch nicht, dass ein Ausblenden des Originals hier zu einem positiveren "Ergebnis" geführt hätte, eher im Gegenteil.
Viele Grüße
Till Kadritzke
Ines B
Ein Film, der genau wie das Buch, sehr still daherkommt. Ein Film für Leute mit einem philosophischen Hang, und definitiv lebt dieser Film von der Aura, die nur einen Jeremy Irans umgibt. Lange keinen so guten Kinoabend erlebt, und ich suche gerade das Buch in meinem Regal, da mich die Lebensweisheiten des Amadeo förmlich hingerissen haben.
susa pirelli
Einfach enttäuschend! Da das Buch eines meiner Lieblingsbücher ist, vergleiche ich natürlich die Romanvorlage und das Produkt Film. Sicherlich ist es immer schwierig, die Dichte und Tiefe sehr anspruchsvoller Bücher ins Filmische zu transportieren. Aber, dass einer Crew bei dem Transport beinah alles an Inhalt verloren geht, ist wirklich sehr bedauerlich, wenn nicht zu sagen peinlich. An dem Hauptdarsteller (und einigen seiner MitstreiterInnen) lag der Fehler auf jeden Fall nicht. Ich denke, die Filmhersteller hätten sich ein einfacheres Buch zum Verfilmen wählen sollen. Nicht jeder kann ein Genie sein.
Isabelle Frick
Ich kenne das Buch zwar nicht, aber selten so einen faszinierenden Film gesehe!! Er ist keineswegs langweilig und das hin und her von damals und heute war sehr gut zum nachvollziehen. Guter Film!!!!!
Johannes
Selten so einen langweiligen Film gesehen. Viel Laberei, wenig Inhalt. Spannung : Fehlanzeige. Auch wird der Sachverhalt schlecht dargestellt. Prominente Besetzung können es auch nicht rausreißen. Habe den Film vorzeitig abgebrochen, so schlecht fand ich ihn. 1 Stern
6 Kommentare