Der letzte Wolf – Kritik

Filmische Liebeslyrik vorbei an Grzimek und Miyazaki: Jean-Jacques Annaud bewundert die letzten Wölfe zu Zeiten der chinesischen Kulturrevolution.

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Der Bus wirkt wie ein Anachronismus zwischen den Steppenreitern und der malerischen Landschaft der Inneren Mongolei. Es ist das Jahr 1967. Die jungen Studenten Chen Zhen (Shaofeng Feng) und Yang Ke (Shawn Dou) werden im Zuge von Maos Kulturrevolution in das chinesische Autonomiegebiet ausgesiedelt, um die Nomaden Lesen und Schreiben zu lehren. Doch Mao-Bibel und rote Ideologie verblassen vor dem satten Grün der Steppe. Ganz ohne Politik kommt die chinesisch-französische Koproduktion natürlich nicht aus. Dass die China Film Group Corporation, das staatlich geführte und gleichzeitig größte Filmunternehmen der Volksrepublik, gerade Jean-Jacques Annaud für die Verfilmung von Lü Jiamins Roman Der Zorn der Wölfe engagiert, wirkt geradezu absurd. Der Autor selbst schlug dem Studio Annaud als Regisseur vor, obwohl dieser nach der Veröffentlichung seines Abenteuer-Epos Sieben Jahre in Tibet (Seven Years in Tibet, 1997) ein mehrjähriges Einreiseverbot erteilt bekam. Der Film steht, wie auch das Liebesdrama Der Liebhaber (L’Amant, 1992), noch immer auf dem Index der chinesischen Zensurbehörden. Dieselben, die Annaud nun laut seiner eigenen Aussage freie Hand bei der Verfilmung des erfolgreichsten Romans in der Geschichte der Volksrepublik ließen. Dabei übt die Vorlage offenkundig Kritik an den damaligen Funktionären und dem Vorgehen der Partei. Doch Annauds Film interessiert sich nicht für Politik. Das Fundament seiner Geschichte ist die Begegnung zwischen Wolf und Mensch.

Jagdszenen aus Nordchina

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Die jungen Chinesen lernen vom alten Nomaden Bilig (Baoyingexige) die Folklore der Nomaden und die Gesetze der Steppe kennen. Wolf und Mensch erhalten ihr ökologisches Gleichgewicht. Szenen, in denen Bilig und Chen Zhen die Wölfe beobachten, inszeniert Annaud mit den Genrecodes des didaktischen Tierfilms, die er bereits in Der Bär (L’ours, 1988) und Zwei Brüder (Deux frères, 2004) immer wieder verwendete. In Zeitlupe pirschen die in Close-ups gezeigten Wölfe an ihre Beute heran, während Bilig aus dem Off ihr Jagdverhalten erklärt. Mit dem Wechsel zur Totale bricht das Tempo wieder auf, und das Rudel hetzt auf seine Beute los, wobei der Einsatz von 3D im Steppenpanorama nahezu unsichtbar bleibt. Einzig James Horners elegische Abenteuerfilmmusik erinnert noch einmal daran, dass Der letzte Wolf kein Tierfilm ist.

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Dass aus solch klassisch inszenierten Jagdszenen beeindruckendes Kino entstehen kann, beweist Annaud, als Wolf und Mensch sich das erste Mal als Feinde begegnen. Diesmal steht das Leben der Nomaden auf dem Spiel, die versuchen, ihre Herde in einer stürmischen Nacht vor den Wölfen zu schützen. Alle didaktischen Lehransätze sind mit dem Auftritt des ersten Wolfs vergessen. Die Kamera heftet sich direkt an das hetzende Rudel, flankiert es auf Augenhöhe, um mit dem nächsten Schnitt die Jäger und Beute aus der Vogelperspektive zu zeigen. Die beeindruckende Choreografie der Wölfe, für die das Team um Tiertrainer Andrew Simpson verantwortlich zeichnet, nimmt den gesamten filmischen Raum für sich ein. Auf reine Bewegung reduziertes Kino, das uns mehr von den Wölfen zeigt als das schwärmerische Pathos, in dem sich Jean-Jacques Annaud verliert.

Das Ende der Unschuld

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Die chinesischen Siedler, denen die Gesetze der Steppe fremd sind, dezimieren den Bestand der Antilopen so weit, dass die Wölfe ihr Vieh reißen. Um die Übergriffe der Wölfe auf das eigene Vieh zu stoppen, werden deren Nachkommen getötet. Chen Zhen rettet eines der Welpen und zieht den jungen Wolf gegen den Willen der Nomaden auf. Während das Tier heranwächst, drängen die Siedler immer weiter in die Rückzugsgebiete der Wölfe vor. Parteidirektor Bao, der lächelnd auf einem Traktor thronend das Gesicht der ökologischen Katastrophe darstellt, erteilt den Befehl zur Vernichtung der Wölfe. Sprengfallen und Gewehre sind die neuen Waffen, mit denen die Siedler die Tiere abschlachten. Bilder eines Krieges, die an Hayao Miyazakis Prinzessin Mononoke (Mononoke Hime, 1997) erinnern, in dem die Natur durch die Feueröfen der Eisenstadt bedroht wird. Doch wo Miyazakis Film die Komplexität der Dichotomie von Fortschritt und Natur abbildet, in die Protagonisten beider Seiten verstrickt werden, da bleibt Annaud bei bekannten Feindbildern von urbarmherziger Umweltzerstörung. Über seine Liebe zur Natur vergisst er, dass auch Menschen, ob Han-Chinesen oder mongolische Nomaden, Teil seiner Erzählung sind. Beziehungen zwischen den Figuren wirken im Rhythmus der Erzählung wie widerwillig eingefügte Szenen. Dienen sie nicht der Mythologisierung des Wolfes, wie im Falle der Liebe zwischen Chen Zhen und der Tochter Biligs, bleiben sie dem Roman geschuldete Anhängsel. Seine Leidenschaft spart sich Annaud für die Wölfe.

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