Invisible Demons – Kritik
Rahul Jains Dokumentarfilm begibt sich nach Dehli, wo Klimakatastrophen längst erdrückender Alltag sind. Invisible Demons ist eine Reflexion und eine Warnung, kommt aber ohne Geigenklänge in Moll oder erhobene Zeigefinger aus.

Im indischen Delhi schwimmt weißer, zuckerwatteartiger und hochgiftiger Schaum durch den Fluss Yamuna. Dass ausgerechnet jener Fluss so stark verschmutzt wurde, in dem Gläubige zum „Chhath Puja“-Fest traditionell baden, scheint wie einer griechischen Tragödie entsprungen, ist aber wie viele andere postindustrielle Umweltkatstrophen eine Realität in der Megastadt.
Gespenstische Schönheit

Als 1991 die Regierung Rao in Indien an die Macht kam, öffnete sie das Land außenpolitisch und für den Handel. Seitdem explodiert seine Wirtschaft mit enormen Wachstumsraten. Ein rasanter Prozess, den unsichtbare Dämonen begleiten: Industrielle Wasser-, Land- und Luftverschmutzung, Klimawandel, Armut. Diese Auswirkungen zeigt der neue Film von Rahul Jains in Bildern, die sich nicht verbieten, trotz aller Dystopie eine gespenstische Schönheit aufzufahren.
Jains ist als „AC-Kind“ aufgewachsen, das gibt er gleich zu Beginn von Invisible Demons in einer Selbstreflexion zu. Er und seine Familie hatten, im Gegensatz zu vielen der Einwohner Delhis, eine Klimaanlage in der Wohnung. Heutzutage ist das in Delhi nicht nur ein angenehmes Privileg, sondern gehört auch zur gesundheitlichen Grundversorgung. Denn die Luft dort ist tagsüber zu heiß und spätestens nachts zu verschmutzt, um in ihr zu arbeiten und zu leben.

Und doch tun das knapp 17 Millionen Menschen. Schieben sich dicht gedrängt in den Straßen und auf den Märkten gemeinsam mit Fahrradrikschas und schmalen PKWs aneinander vorbei. Diese Bilder, die das westliche Auge wohl wie wenig andere mit dem zeitgenössischen Indien verbindet, werden in Invisible Demons zu morphischen, abstrakten Landschaften. Jains stellt die Menschenmengen einem Kübel Aale gegenüber, die ein lebendes, nasses Wimmelbild abgeben, folgt ihnen durch eine Lagerhalle vor der Stadt, immer begleitet von dem hellgrauen Smog, der alles einhüllt.
Der Regisseur spricht aus dem Off ein paar Sätze: über die Hitze, den Monsun, die Geschichte Delhis. Den Rest erzählen Protagonisten von der Straße und eine Fernsehreporterin für New Dehli Television. Dass der Zustand der Umwelt heute schon ein massives Problem ist, bezweifelt von ihnen niemand. Dass es schlimmer wird, auch nicht.

Erschreckender Zoom-out
Eine atemberaubende Einstellung behält sich Jains für den Schluss auf: Ein einsamer Müllsammler durchsucht eine Deponie außerhalb der Stadt. Er steht auf einer undefinierbaren Masse aus Abfällen, die auf noch viel mehr Abfälle geschüttet wurde. Ein Zoom-out zieht sich so lange, bis ein ganzes Gebirge von Industrie- und Konsummüll zu sehen ist, der Sammler nur noch ein vager Pixel, vermengt mit dem Nebel. Dann erzählt uns Jains, dass diese Deponie nur eine von fünf im gesamten Stadtgebiet ist.

Diese Szenen brauchen weder Geigenklänge in Moll noch erhobene Zeigefinger, und es ist nur richtig, dass Jains uns beides erspart. Im Gegenteil: Wirklich werden diese Aufnahmen eben nicht, weil sie nüchtern-dokumentarisch oder pathetisch-mahnend wären, sondern durch ihre obskure, grafische Schönheit.
Für Zuschauerinnen und Zuschauer aus dem Westen, an Orten, auf denen noch kein Smogschleier liegt, ist Invisible Demons auch eine Glaskugel, die warnend die Zukunft zeigt. Das weiß Jains genau und legt alle verfügbare Wucht in die 70 Minuten Film.
Den Film kann man bei MUBI streamen.
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