Die Geschwister Savage – Kritik

Laura Linney und Philip Seymour Hoffmann machen Stan Laurel und Oliver Hardy Konkurrenz – in einem tragikomischen Buddy-Movie über Demenz.

Die Geschwister Savage

Strahlender Sonnenschein, blitzblank gefegte Straßen und perfekt gestutzte Hecken, hinter denen in Zeitlupe alte Damen in Cheerleader-Kostümen hervortänzeln, um im harmonischen Einklang die erstaunlich beweglichen Gliedmaßen zu schwingen. Wir befinden uns in Sun City, Arizona, dem Exklusivparadies für betuchte Rentner. Einer von ihnen wird gleich von seinem Pfleger ermahnt, die Toilettenspülung zu bedienen, schmiert aber stattdessen mit den eigenen Fäkalien das Wort „Prick“ an die Badezimmerwand.

Es ist Lenny Savage (Philip Bosco), der die allzu lieblichen, unwirklich anmutenden Impressionen eines vermeintlich sorgen- und keimfreien Altersruhesitzes besudelt. Wie sein Nachname verkündet, ist Savage kein besonders domestizierter Zeitgenosse, und eine fortschreitende Demenz-Erkrankung macht ihn nicht gerade umgänglicher. Als seine Lebensgefährtin stirbt, ist er außerdem von heute auf morgen obdachlos. Es folgt die Abschiebung aus dem Paradies und die Benachrichtigung seiner beiden Kinder, die bisher kaum Kontakt zu ihm hatten, weil er ihnen nie ein guter Vater war.

Wendy Savage (Laura Linney) hält sich in New York mit Zeitarbeitjobs über Wasser und schreibt erfolglos autobiografische Bühnenstücke, für die ihr wiederholt Stipendien verweigert werden. Wenn ihr verheirateter Freund Lust auf Sex hat und sie nicht, schwindelt sie ihm einen Verdacht auf Gebärmutterkrebs vor – und schläft trotzdem mit ihm. Oder eher mit seinem Golden Retriever, der beim Zugucken so gelangweilt wirkt wie sie, und dem sie zärtlich die Pfote streichelt, während der Mann mit sich selbst beschäftigt ist. Ihr älterer Bruder Jon (Philip Seymour Hoffmann) ist Professor an einem unbedeutenden College und ebenfalls kein Beziehungsexperte. Die Frau, die er liebt, muss zurück nach Polen gehen, weil ihr Visum abgelaufen ist, und er sich weigert, sie zu heiraten.

Die Geschwister Savage

„Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ Der erste Satz von Tolstois Anna Karenina leitet Tamara Jenkins Debütfilm Hauptsache Beverly Hills (Slums of Beverly Hills, 1998) ein, trifft aber mindestens genauso auf den zweiten und deutlich reiferen Langfilm der US-Autorin und -Regisseurin zu. Der hat ganze neun Jahre auf sich warten lassen und ist wie der Vorgänger von Ereignissen in Jenkins Verwandtschaft inspiriert.

Die Savages sind mit ihren Hypochondrien und Hysterien, Aggressionen und Neurosen, eine wahrlich individuelle, eigenartige und sehr komische Ausgabe einer dysfunktionalen Familie. Weit davon entfernt, so würdevoll und vorbildlich aufzutreten wie der selbstlose Ehemann einer Alzheimer-Patientin in Sarah Polleys An ihrer Seite (Away from Her, 2006). Polleys stilles Drama und Jenkins Tragikomödie überschneiden sich zwar in ihrer ungeschönten Annäherung an die Diagnose Demenz aus der Perspektive der häufig überforderten Angehörigen, unterscheiden sich jedoch stark im Erzählton.

Jenkins hat für Die Geschwister Savage (The Savages) in erster Linie eine humorvolle Herangehensweise an ein ernstes Thema gewählt, ohne sich dabei über den Zustand des Demenz-Kranken lustig zu machen. Haupt- und mitunter Witzfiguren sind vielmehr Wendy und Jon, die sich in der Tradition eines Buddy-Movies zusammenraufen und Gegensätze überbrücken müssen, um die „Mission Impossible“ anzutreten, ihren schwierigen und teilweise peinlichen Erzeuger in einem akzeptablen Pflegeheim unterzubringen.

Die Geschwister Savage

Trotz ihrer vorwiegend leichthändigen Inszenierung scheut sich die Regisseurin nicht, auch unbehagliche Offenbarungen über Rassismus oder Missbrauch in die Handlung einzubinden. Wie schon in ihrem Erstling tischt sie diese gerade dann beiläufig und unvermittelt auf, wenn man sich als Zuschauer etwas zu gemütlich und sicher zurückgelehnt hat. Zum Glück erspart sie einem therapeutische Gespräche und tränenreiche Versöhnungen. Manche Konflikte bleiben unausgesprochen und ungelöst.

Jenkins Stärke liegt im Schreiben lebendiger, pointierter Dialoge und im Entwerfen greifbarer und vielschichtiger Charaktere, die hier von Philip Seymour Hoffmann und Laura Linney mitreißend verkörpert und mit liebenswerten Ecken und Kanten versehen werden. Zurückhaltende Gesten und Blicke, Situationskomik und Screwball-Anleihen, ergänzen sich zu einem komplexen, spannungsgeladenen und oftmals herrlich kindischen Bruder-Schwester-Verhältnis. Erst durch die plötzliche Verantwortung für den hilfsbedürftigen Vater werden der nüchterne Jon und die überdrehte Wendy, deren Namen Peter Pan entstammen, erwachsen. Bis es soweit ist, teilt man geschwisterlich Schmerzmittel zum Frühstück und bietet sich Dads Pillen zur Stimulation der Gehirnfunktion an.

Ein wohl nicht seltenes Missverständnis im Umgang mit Demenz-Patienten veranschaulicht Tamara Jenkins in einer späten Szene: Wendy und Jon streiten sich lauthals im Auto. Die Schwester vergleicht ihren Bruder mit dem Vater, was Jon empört zurückweist. Man könnte denken, die beiden säßen alleine im Wagen, bis die Kamera auf den Beifahrersitz schwenkt und den weder körperlich noch geistig abwesenden Vater ins Bild rückt. Der versteht alles und mehr, als ihm lieb ist – und gönnt sich die Freiheit, sein Hörgerät leiser zu stellen.

Neue Kritiken

Trailer zu „Die Geschwister Savage“


Trailer ansehen (1)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare


Jens

Sehr gut gespielter/gemachter Film !
Ohne die ansonsten düstere Grundstimmung bei solch ähnlichen Filmen. Herrlich...






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.