Der letzte Kuss – Kritik
Ist das Leben vorbei, wenn man 30 wird und die Freundin schwanger? Gerade stellt sich Michael (Zach Braff) diese Frage, als Kim (Rachel Bilson) ihm wimpernschlagend über den Weg läuft.

Ausgerechnet der Brite Tom Wilkinson scheint zu der moralischen Instanz im amerikanischen Kino zu werden. Triebfeder dieser Entwicklung war seine oscarnominierte Rolle als Vater eines ermordeten Sohnes, der sich in Todd Fields In the Bedroom (2001) mit der uramerikanischen Frage nach Selbstjustiz konfrontiert sieht. Als Pfarrer in Der Exorzismus von Emily Rose (The Exorcism of Emily Rose, 2005) verteidigt er vor Gericht seine tödliche Teufelsaustreibung. Auch in der britischen Produktion Geliebte Lügen (Separate Lies, 2005) von Julian Fellowes muss er sich als betrogener Mann einer juristisch schuldigen Frau mit grundlegenden gefühlstechnischen und ethischen Fragen auseinandersetzen.
Diese Schnittstelle zwischen privaten emotionalen Bindungen und übergeordneten gesellschaftlichen Fragen besetzt Wilkinson ebenfalls in Der letzte Kuss (The Last Kiss, 2006). Wie in Todd Fields Überraschungshit plagen ihn auch hier eigene Eheprobleme, doch in der zentralen Szene des Films vermittelt er Michael (Zach Braff), dem angehenden Vater seines Enkelkindes, die beziehungsrettenden Werte: Nicht Worte zählen, sondern Taten. Und Ehrlichkeit. Wenn Tom Wilkinson diese so simplen wie treffenden Allerweltsweisheiten mit unaufgesetzter Nachdrücklichkeit ausspricht, möchte man eigentlich gerührt sein, oder aber sich zumindest in ein kritisches intellektuelles Verhältnis dazu setzen. Anders als seine Regiekollegen Fields und Fellowes erreicht Tony Goldwyn dies bei seinem Publikum jedoch nur schwerlich. Zu sehr wirkt diese Szene wie ein schon lange vorhersehbarer dramaturgischer Knotenpunkt.

Überhaupt erscheint bei Der letzte Kuss manches eine winzige Nuance zu viel. Dies beginnt mit dem Casting. Zu sehr ist Tom Wilkinson als betrogener stoischer Ehemann mit Lebensweisheit eine sichere Besetzung, als dass hier noch irgendein Funke überspringen könnte. Zach Braff darf wie in Garden State (2004) ein bisschen schrullig und unbeholfen seiner Liebe hinterherlaufen und gleichzeitig ein junges, ganz leicht alternatives amerikanisches Publikum ansprechen. Die beiden Frauen, zwischen denen er sich entscheiden muss, entsprechen dem urältesten aller Romantic-Comedy-Klischees: junge, lebensfrohe, extrascharfe Studentin versus mit ihren eigenen Problemen beschäftigte, kreuzbrave angehende Mutter, genau genommen nicht minder attraktiv. In Sachen kastanienhaariges Rehäuglein-Püppchen nehmen sich beide nicht viel.

Jacinda Barrett spielt Jenna, glückliche Freundin des Architekten Michael und neuerdings schwanger. Rachel Bilson verkörpert Kim, der Michael ausgerechnet auf einer Hochzeitsparty im Freien begegnet. Was für ihn wie ein Flirt beginnt, ist für sie scheinbar die große Liebe. Dabei ist von vorneherein klar, dass sie keine Chance gegen das Mutterweib besitzt. Nun wäre ein Film aus ihrer Perspektive wirklich mal eine Sensation: wie fühlt sich eine wahrhaft verliebte junge Frau, wenn sie, sich nach aufopferungsvollem Kampf und einer Liebesnacht am Ziel ihrer Träume wähnend, links liegen gelassen wird? Doch um dieses Drama kümmert sich Der letzte Kuss nicht. Überhaupt interessiert sich der Film wenig für seine weiblichen Figuren. Im Zentrum steht eine Männerclique. Kenny kriegt mit spielerischer Leichtigkeit einfach jedes weibliche Geschöpf rum und wähnt sich mit der gleichsam freizügig, unkompliziert und lüsternen Danielle am Ziel all seiner Phantasien ungebundener Körperlichkeit. Die Seifenblase zerplatzt, als sie ihn ihren Eltern vorstellen möchte. Chris muss sich entscheiden, ob er sich von der Mutter seines Kindes trennen kann, und Izzy ist ein Drogenweiser, der die anderen zu einer großen Große-Jungs-Tour überreden möchte.
Paul Haggis (L.A. Crash[filmid], Crash, 2004, Million Dollar Baby[filmid], 2004, Casino Royale[filmid], 2006, Flags of our fathers, 2006) ist zurzeit das Nonplusultra unter den amerikanischen Drehbuchautoren. Seine stringente Dramaturgie und seine komplexe Figurenzeichnung stehen jedoch häufig an der Schwelle des gewissen „too much“, das eben auch Der letzte Kuss auszeichnet. Das Durchdeklinieren mannigfacher zwischengeschlechtlicher Probleme in diversen Beziehungen büßt hier an Ernsthaftigkeit zugunsten des Feel-Good-Movies ein. Nur bei Chris, der tatsächlich einen Entscheidungsprozess durchläuft, an dessen Ende eine ambivalente, gleichsam schmerzhafte wie nachvollziehbare Handlung steht, scheint die Figur eine reelle Chance gegenüber Drehbuch- und Typenkonventionen zu besitzen. Viele andere Probleme scheinen vor allem der Auflösung im scheinambivalenten Ende entgegenzusteuern. Goldwyns Inszenierung des tagelang vor der Haustür seiner dann doch Richtigen kampierenden Michaels, der schließlich ihr Herz erweicht, sehnt sich zu sehr nach ungewöhnlich-schönen Bildern und ist zu zuckersüß, um wahr zu sein.

Schon die erste Einstellung möchte so laut wie möglich „ich bin anders“ schreien und hat dann doch „just another independent movie“ als Untertitel. Dabei hätten sich Haggis und Goldwyn in der Adaption des italienischen Films Ein letzter Kuss (L’ultimo Bacio, 2001) nur für ein Genre entscheiden müssen. Dem Stoff, in seinen dramatischen Qualitäten ernstgenommen und unprätentiös inszeniert, wären vermutlich Hautnah (Closer, 2004)-Qualitäten abzuringen gewesen. Mit einem konsequenten Bekenntnis zum Märchenhaften hingegen, wie es etwa Elizabethtown (2005) und eben Garden State
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