Tagträume vom Mars, Nazis hinterm Mond

Erster Film der Retro ist natürlich Aelita, jener sowjetische „Science-Fiction“-Film von 1924, über den im Vorfeld dieser Berlinale immer geschrieben wurde, wenn von den alten russischen Stummfilmen die Rede war, die hier wunderbarerweise zu sehen sind. Science-Fiction in Anführungsstrichen deshalb, weil die Szenen in der Parallelwelt des Mars lediglich die Tagträume des Protagonisten sind, den im nachrevolutionären Moskau die Eifersucht quält. Aber diese Szenen haben es in sich! Zur Live-Klavierbegleitung sieht man skurrile expressionistische Kostüme (die Soldaten sehen ein wenig so aus wie die imperialen Sturmtruppen in Star Wars) in einem Bühnenbild aus Treppen und Kegeln, in dem es – wir sehen schließlich ein Produkt der „Roten Traumfabrik“ – auch noch zur Revolution der geknechteten Arbeiter kommt. Als der Traum vorbei ist, werden die als Hobby betriebenen Rakete-zum-Mars-Baupläne im Kamin verbrannt, und das glückliche Paar erinnert sich daran, dass ja auch in dieser Welt „so viel zu tun ist“. Das Publikum im CinemaxX amüsiert sich prächtig, am Schluss gibt es großen Applaus für den Film und den Pianisten.
Noch einmal Science-Fiction, noch einmal eine extraterrestrische Parallelgesellschaft: Eine nach dem Zweiten Weltkrieg auf die dunkle Seite des Mondes (!) geflohene Gruppe deutscher Nazis (!) plant die Invasion der Erde. Der teilweise durch Crowdfunding finanzierte Iron Sky ist Trash in Reinform, mit Nazi-Bräuten in Unterwäsche, jeder Menge quietschender Dieselpunk-Retro-Futurismus-Apparaturen und so völlig absurden Dingen wie Feuerwaffen in der Schwerelosigkeit. Das ist lustig, wenn auch die politische Satire, die in Iron Sky unter all dem Trash steckt, sich mit ihrer Sarah-Palin-Parodie auf dem Stand von 2008 befindet. Das liegt sicher an der langen Produktionsgeschichte des Films, der im Internet einen ziemlichen Hype verursacht hat und zu den mit der meisten Spannung erwarteten Werken hier zählte. Hübschester Gag: Chaplins Großer Diktator, der der Schulklasse von Klein-Nazis auf dem Mond als „berühmtester Kurz(!)film“ über den Nationalsozialismus verkauft wird (und der nur aus dem mit der Weltkugel spielenden Diktator besteht, ohne das Platzen selbiger). Auch hier amüsiert das Publikum sich prächtig, was hoffentlich nicht nur daran liegt, dass so mancher per Crowdfunding bereits vorher für den Film bezahlt hat.
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