The Visit – Kritik
Eine Woche zu Besuch bei den gruseligen Großeltern: M. Night Shyamalans Low-Budget-Reißer bringt den Kinosaal zum Kreischen – vor Schrecken und vor Lachen.

Verbote machen neugierig. Das wissen auch M. Night Shyamalan und seine Werbeabteilung. Für The Village (2004) war die Vorgabe, unter allen Umständen die Farbe Rot zu vermeiden, einer der effektivsten Aufmerksamkeitserreger – ob im Trailer, auf dem Plakat oder in anderen Werbemedien. Für die Promotion von Shyamalans neuestem Werk The Visit, mit dem der Regisseur nach zwei Blockbuster-Flops wieder an alte Erfolge anknüpfen will, wird nun auf die gleiche Strategie zurückgegriffen: „Don’t ever leave your room after 9.30 p.m.“, lautet hier die goldene Regel, die einem vom Filmplakat entgegenschlägt.

Im Film selbst erscheint diese Regel allerdings gar nicht mehr so rigide, wie es das Poster suggeriert. Sogar recht beiläufig spricht Großvater John (Peter McRobbie) einen vom Sinngehalt gleichen Satz – wenn auch ohne das geheimnisvoll-unumstößliche „ever“ – eher als eine Empfehlung denn ein Verbot an seine Enkel aus. Für die fünfzehnjährige Rebecca (Olivia DeJonge) und ihren dreizehnjährigen Bruder Tyler (Ed Oxenbould) ist der Besuch bei „Nana“ und „Pop Pop“ besonders aufregend, schließlich sind sie ihren Großeltern noch nie begegnet. Rebeccas und Tylers Mutter (Kathryn Hahn) hatte sich nach einem Zwischenfall, über den sie ihren Kindern nie genaueres erzählt hat, vor deren Geburt mit ihren Eltern überworfen. Nun wird auch für die Teenager die neue Beziehung schnell zur Belastungsprobe. Denn die beiden Senioren fangen trotz aller anfänglichen Harmonie sehr bald an, sich äußerst merkwürdig zu benehmen. Vor allem Großmutter Doris (Deanna Dunagan) macht den beiden mächtig Angst, wenn sie eine für ihr Alter unheimliche Agilität überkommt und sie tagsüber unversehens beim plötzlich gar nicht mehr so fröhlichen Versteckspiel mitmischt oder nachts wie besessen durchs Haus poltert.
Dem Schrecken mit jugendlichem Humor entgegentreten

Der wesentliche Kniff von The Visit besteht darin, die Begegnung komplett aus der Perspektive der Jugendlichen zu erzählen, womit Shyamalan mehrere Effekte erzielen kann. Zum einen ist der Film als sogenanntes Found Footage (so der mittlerweile gängige, wenn auch mit der ursprünglichen Bedeutung als experimentelle Montagekunst in Konflikt stehende Begriff) getarnt: Die Aufnahmen, die das Publikum sieht, entstammen alle einer in der filmischen Welt selbst existenten Kamera, mit der Rebecca als angehende Dokumentarfilmerin den Besuch festhalten will. Der sich so ergebende (kalkulierte) Amateurlook, der problemlos mit den etablierten Continuity-Regeln des Hollywoodkinos brechen kann, unterstreicht unweigerlich die Wahrnehmung des Films als Shyamalans bisher persönlichstes Projekt, das er mit relativ wenig, ausschließlich aus eigener Tasche stammenden Geld auf die Beine gestellt hat und mit dem er sich von seinen vorangegangenen Pleiten in der hochbudgetierten Filmindustrie abgrenzen will. Natürlich weiß Shyamalan dabei auch die Möglichkeit zu nutzen, die die vermeintlich stärkere Unmittelbarkeit des Found Footage für besonders affektive Schreckmomente bietet.

Gleichzeitig ist The Visit keineswegs nur ein Horrorfilm, sondern funktioniert auch über erstaunlich weite Teile hinweg als Komödie. Den vollen Kinosaal auf der Deutschlandpremiere beim Fantasy Filmfest in München brachte der Film jedenfalls gleichermaßen vor Schrecken wie vor Lachen regelmäßig zum Kreischen. Auch hier ist es die jugendliche Perspektive auf das Geschehen, zuallererst die Unbedarftheit und Verspieltheit des ganz in pubertärer Coolness aufgehenden Tyler, der sich die Komik verdankt. Was in der einen Szene den Protagonisten und dem Publikum noch die Nackenhaare aufstellt, kann dem Dreizehnjährigen nur eine Szene später als Vorlage dienen, Lacher zu produzieren. Spontane Rap-Einlagen und anderes frivoles Herumgealbere mögen zwar nicht jedermanns Humor treffen, doch die Grenze zum Klamauk weiß Shyamalan sicher zu ziehen.
Zusammenprall der Generationen

So können die Geschwister das merkwürdige Verhalten der Großeltern erstmal erstaunlich gelassen nehmen. Neben dem Humor scheint für sie das beste Mittel, um sich von den diversen Schrecken zu erholen, der Spruch zu sein, es seien eben alte Leute. In der Tat ist The Visit auch dadurch interessant, dass er einige Ansätze zur Reflexion des Aufeinandertreffens der Generationen parat hält, wenn die Jugendlichen mit Alzheimer, Inkontinenz und anderen ganz realen Bürden des Alters konfrontiert werden. Auch ohne übernatürlichen Einschlag bietet der Zusammenprall von Teenager- und Seniorenlebenswelten einiges an Befremdungs-Potenzial. Doch um die Vorfälle alleine als dem Alter geschuldet abzutun, werden diese bald zu krass. Der Plot selbst entwirft ein weitreichendes Spekulationsgewirr, das von Werwölfen über Aliens zu Dämonen oder Hexen reicht. Wie bei Shyamalan nicht überraschend, entpuppen sich die meisten Rätselhaftigkeiten als Nebelkerze. So verbirgt sich hinter manchem Mysterium nicht mehr als ein Haufen Kot.
Die Fans von Shyamalans raffiniertem Storytelling, die er mit seinen letzten beiden Produktionen vielleicht vergrault hat, vermag The Visit sicherlich wieder zu versöhnen. Wie in vielen seiner wendungsreichen Erzählungen gibt es auch hier schließlich ein geschlossenes und durchaus sinniges Ende, das die Geschichte doch recht klar abschließt. Der Wermutstropfen dabei ist allerdings, dass jede konkrete Auflösung des Geschehens gegenüber dem lange Zeit anamorphen und dadurch vielleicht umso vereinnahmenderen Gespinst, das sich im Kopf des Zuschauers durch all die geschickt eingesetzten Finten entsponnen hat, doch etwas zurückfällt.
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